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// Einen Augenblick weiter – 2/2.


Schon wieder Sonntag. Schon wieder im selben Sushi-Laden, wie letzte Woche auch. Ein eloquenter Gram sitzt in mir fest und bestimmt das melodische Rezitativ meiner Empfindungen – schon wieder. Heute muss ich bei der Bestellung aber ein wenig variieren. Anstatt Cola eine Fanta und anstatt der Suppe nehme ich eine andere Suppe, die weniger warm ist und auch etwas schnöder aussieht als meine. Klingt verlockend, aber warum sollte mich das weniger traurig machen? Raus aus der Komfortzone und etwas wagen, wird einem immer wieder gepredigt. Heute mach ich das, ganz virtuos mit dem Zeigefinger der Unvernunft. Ah, da ist die Bedienung. Cola und die heiße Suppe bitte, ohne Koriander. Nun ja, war ja klar. Löffel für Löffel verschwindet die trübe Brühe unter meiner Nase, bahnt sich ihren Weg durch die Speiseröhre in meinen Magen. Wohlige Wärme versprüht sie dort. Alles passiert, wie es zu passieren hat. Nichts ist unerwartet oder lässt mich stutzig werden. Ich bin unmittelbar bei mir, wünschte mir dennoch eine Nullfokalisierung – möchte als mein eigener Erzähler mehr wissen, als ich dies tue. Voraussehen können, wie ich mich im nächsten Moment fühlen könnte, sollte ich trotz allen Komforts einmal von meiner Bahn abweichen. Ach, wie herrlich könnte das sein. Mein Narrativ als unzuverlässiger Erzähler so zu verändern, dass ich denken könnte, mein Ausbruch aus der Konventionen sei genau das, was mein Ich an meiner Stelle tun würde [um das holde Burgfräulein vor den feuerspeienden Windmühlen zu retten]. Konjunktiv, mein treuer Freund. Du lässt einfach nicht locker. Ich wäre sehr gerne mal der aktive Protagonist in meinen Erzählungen, anstatt wie so oft nur der stille Beobachter. Und jetzt ist schon wieder Sonntag. Die Tage steuern mich wie sie wollen, lenken mein Handeln. Ich reagiere nur noch. Wie wirke ich wohl auf jemanden, der mir tagtäglich zuschauen würde. Angespannt, unsicher oder als Herr meiner Unzulänglichkeiten? Eines dieser Dinge wird es wohl sein, keine Frage. Sowas kann doch keiner wollen. Das steppenwolf’sche Kind vibriert in mir und will entdecken – so scheint es. Jedoch hat sich die Behaglichkeit meines Komforts wie zarter Raureif auf meinen Geist gelegt. Es bedarf sonniger Strahlen, um diese Schicht zu schmelzen und Wunderbares hervorzubringen. Einerlei, die Gedanken engen mich ein. Handlungen müssen sprechen.

Ich lade den Nebentisch ein und zahle deren Rechnung. Unerkannt, keiner soll wissen dass ich es war. Will nicht wissen, welche Reaktionen ich in den Personen verursache, sondern konzentriere mich lediglich auf meine Empfindung und meine Melodie vom Schmelzen der weichen Eiskristalle. Weine ich dem Geld hinterher oder bricht Freude in mir aus, weil ich den Verlauf des Abends dreier Leute verändert habe? Was unternehmen sie nun mit dem gesparten Geld? Wie fühlen sie sich und wie gehen sie mit dem Ungewissen um? Von wegen „Will nicht wissen, welche Reaktionen sie haben“. Natürlich interessiert es mich! Aber sollte solch eine Geste nicht altruistisch sein, ohne glorifiziert dastehen zu wollen? Und wie geht 100% Altruismus denn wirklich? Irgendetwas passiert in mir doch, dass mich gut fühlen lässt oder nicht? Ich zahle bitte meins und die Rechnung des Tisches neben mir. Aber, liebe Dame, seien Sie so gut und erwähnen nicht, wer den Obolus übernommen hat. Hier, stimmt so. Danke. Eventuell muss ich die Jacke nicht ganz zumachen, es wirkt noch nicht zu kalt draußen. Ach, wohltuende Frischluft, ich hab dich vermisst. Aber hui, kalt ist es geworden. Dann mal schnell nach Hause. Was treibt denn der junge Mann vor der Türe? Hm, sicher von Außerhalb, so neugierig wie er schaut.

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