top of page

// Der Niederschriften vierter Teil.


Mitternacht also. Es tickt und tackt. Und der Zeiger wandert im Schall des Zimmers immer weiter. Flüchtet vor meinem Blick und spielt sekündlich mit dem rechten und linken Ohr gleichermaßen, abwechselnd. Ganz unaufgeregt tänzelnd.

Rücke ich dem Zeiger etwas näher und drehe ihn ein paar Drehungen zurück, schwuppsie, sitze ich auch schon im Zug, mit Direktion München.

Ein ICE, wie er voller kaum sein könnte und, selbst bei freudigem Wohlwollen, nicht sollte. Ich laviere tapsig durch den Gang und bemerke jäh neben mir zwei freie Plätze. Gebucht habe ich erst ab Halle/Saale und es bedarf deshalb noch über eine Stunde an Scharmützeln und mindestens einem Café für 3€ im Bordbistro. Frecher Spatz.

Ich setze mich, beginne zu lesen. Und die Leute zu ignorieren.

Neben mir wird eine Dame von den wahren Platzbesitzern vertrieben und das Ehepärchen in meinem Vierer schaut sich verwundert an.

Ich parliere in meinem feinsten Anglo-sächsisch und frage sie, ob sie eine Frage hätten.

Das Pärchen kommt aus Kanada und ist mit den Platzreservierungen im Zug kaumstens vertraut. Ich erkläre, referiere und konspiriere mit ihnen und fordere mein Sandwich auf, noch einen Moment mit seinen forschen Zwischenfragen zu warten. Es klappt seine Tupperbox wieder zu, enttäuscht, und konspiriert nun seinerseits, wütend, mit den gedünsteten Zucchinistreifen.

Die kurze Erläuterung spinnt sich zu einem 90-minütigen Gespräch heran. Wir schwatzen und besonders tat es die Dame. Ihr Topos war alles und auch die Lebenswege ihrer Kinder.

Ich nahm die verpackten Gefühle an und zog mir dabei neue Erkenntnisse zu.

90 Minuten — wie erwähnt — später wechselte ich das Abteil — auf Geheiß einer angezeigten, nachfolgenden Reservierung für meinen Platz.

Befürwortend nahm, lief und setzte ich.

Neues und Altes in einem. Euphorie.

Nun aber tat sich ein Tumult auf. Menschen stießen zu uns und unterbrachen ihr Stoßen auch zu keiner Zeit. Bis der Zug einem genährten Wollfisch ähnelte. [Wollfisch, der: Ein von Fell umzogener Pfirsich, der in der Form eines Fischs an Wollbäumen wächst.]

Das Fiasko war folgendes: Einer der Züge vor uns lahmte und wurde somit zeitig mit Fieber ins Bettchen gebracht. Der Arme.

Somit streunten alle Ex-Insassen wirrig umher und fanden dann fluchs unser Züglein, welches ebenfalls schon einer Überbuchung anheimgefallen war. Drängen, drängen und so viel drängen.

Muffige Worte und Sapperlottereien, die der, sich immer weiter aufblähende, Zug erdulden musste. Da schwammen Kindesworte und Erwachsenenworte wie freilaufendes Federvieh wild umher — so ganz unumzäunt.

Eine freiwillige Stimme, die plötzlich erklang, erhob das Köpfchen (es war ganz zufällig auch eine Kopfstimme) und versuchte der Situation Meister zu werden.

'Lalala Zug ist voll lalala bitte die stehenden Passagiere aussteigen lalala Sicherheitsgefahr lalala Bordbistro gibt es Café für 3€'

Ein leises Huiuiui schälte sich aus meinen Lippen.

Eine Frau vor mir wurde dabei grundlos bächtig möse, aber bächtig möse.

Diese freudlose Eselei gab den meisten Reisenden ein kleines Eselsohr mit auf den Weg, damit sie später auch noch recht gut wussten, wo sie sich ihre Laune eingebrockt hatten.

Wir fuhren nun wieder und die Gänge des Zuges waren deutlich leerer und gaben nun auch wieder die Toiletten frei. Ich musste zwar nicht, aber es war eindeutig besser so, als anders herum.

Pipi hurraaa.

Und weiter. Die Tschu-Tschuh-Bahn trabte flott vor sich hin und um der Dame, die sich, des Stehens wegen, über Rückenschmerzen beklagte, eine Freude zu machen, ließ ich ihr meinen Platz. Zumindest für 40 min., da ich ins Bordbistro ging und mir Café für 3€ besorgte. Plupps auf den Ledersitz fallengelassen und mir kaum merklich die Zunge beim ersten Schluck verbrannt. Ein Wackeln und tumbes Poltern schaukelte den Zug näher und immer näher ans Ziel.

Als ich zurückkehrte hatte die Dame bereits einen neuen Platz ergattert und ich fand mich nun neben einer neuen Nebensitzerin wider.

Dumpfe Schläge und das Badong-Badong des Zuges kutschierten das Kollektiv an Wohinfahrenden durch grünes Grasland, wogende Hügel und, vom herabfallenden Regen, bepinselte Straßen. Vereinzelt brach die Sonne eine porzellanfarbene Narbe in das graumelierte Tuch.

Und so erreichte ich auch schon Donauwörth. Der Platz zum Sein.

Der Ort, an dem Schmied und Juwelier dasselbe sind. Wo zum Schwäbisch tendiert, zum Bayrisch gelinst aber mit dem Fränkischen geschnaxelt wird. Alles töricht und erfunden, aber es klingt so authentisch.

Hier besteige ich die RE. Regionalzug nach Aalen. Bidde alle einschdeign. Vrsichd bei dr Einfaahrd.

Ein Bummelbähnle, wie man es aus dem schwäbische Chanson kennt und lieben gelernt hat. Alle sechs Minuten ein Halt; auf einer Strecke von 94 Minuten. Sii se countrisaid, well wenn dr Zug z schnell fährd, dann siiesch ja garnix.

Ich würze die Gedanken mit Worten aus meinem Buch von Breece D'J Pancake und schnabuliere alles genüsslich zum wonnigen Klang des vorbeistreuselnden Regens auf Glas. Gittermuster entstehen auf der Scheibe und laden direkt zu einem Familienspieleabend ein. Ohne Anleitung, weil die ist letztens beim Umzug verloren gegangen. Ach, herrje.

Drei Spirulina-Anekdoten später fuhr in in Aalen ein. Vrsichd bidde beim Ausschdeign.

Gleis 1. Gleis 5. HzlRE 57 nach Ulm.

Fünf Konsonanten später saß ich dann auch im letzten Zug für heute. Knallig gelb und noch eine Farbe rufen hier 'Baden-Württemberg' as laut as fuck.

28 Minuten durchs Ländle und ich habe kein Essen mehr in meiner Tupperbox. Trinken ist auch alle und die Geschichte nähert sich langsam dem Ende zu.

Ach und: Hallo S.! (Ich find's immer knuffig, wenn man seinen eigenen Namen irgendwo liest)

Wir brandulieren mal etwas weiter. [Brandulieren, das: Ondulieren und Brandschatzen in einem Wort. Heißt, dass etwas gemopst wird, während es brennt und dabei aber hübsche Wellen dabei schlägt.]

Als das Abendessen beendet war und wir auch gute und ergiebige Gespräche geführt hatten, fuhr ich, umgeben von 320 PS, Vater und Stiefmutter und mich nach Hause.

Obgleich die Fahrt lange erscheint, hatte ich angenehme Stunden und auch alles Bisherige war äußerst reizend und wundervoll. Dazu dann aber eventuell bald mehr :)

Aktuelle Einträge
Archiv
Schlagwörter
bottom of page