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// The last suburb.


Samstag. Er wacht mit relativ viel Alkohol im Atem und Gesicht auf. Das etwas zu warme Wasser aus der Leitung weckt dagegen nur mäßig auf und besprenkelt beiläufig auch noch das sehr träge Gemüt. Mit großzügigen Schlucken leert er kurz danach die Flasche Wasser, bedient die Klospülung und kleidet sich an. Die Vorbereitungen sollen der Präsentation vor der Wieliczka Salzmiene dienen. Crème ins Gesicht, Rucksack schultern und hopp hopp zum Bus. Laufen. Warten. Fahren. Rein. 16 Grad sprühen ihm und der Gruppe entgegen. Die Miene ähnelt unweigerlich Moria. (Hängt wohl mit der Unterirdigkeit zusammen.) Gespräche mit ein paar Portugiesen, Erzählungen, geplante Witze und fantastische Architekturen. Tausenden und aber tausende Tonnen Gestein das hier abgetragen wurde. Gänge und Kammern und Kirchen und Figuren wurden aus Salz geformt, die sich nun gravitätisch und monumental um die durchwandernden Gruppen legen. Unwirklich und schwer vorstellbar, wie Menschen dieses Labyrinth, 130 Meter unter der Erde, erschaffen haben sollen. Die wuchtige Schwere über ihnen scheint schützend, jedoch einengend und bedrohlich gleichermaßen. Sie lecken an Wänden und berühren, was an Berührungen erlaubt ist. Eine Kammer nach der anderen erscheint; einige davon 30 bis 40 Meter hoch. Die Größte der Steinräume war die Kirche, in der sogar geheiratet werden kann. Denn Salz, so sagt man, macht nicht nur Lebensmittel sehr lange haltbar. Darin befindet sich unter anderem auch die einzige Salzstatue der Welt von Johannes Paul II. Dazu kommt, dass hier ein polnischer Künstler, im Zuge seiner Abschlussarbeit, das letzte Abendmahl in Salzstein gemeißelt hat. Eine bestimmte Perspektive lässt die Dreidimensionalität des Kunstwerks noch tiefer wirken. Kleine, unterirdische Seen liegen völlig reglos da und vermögen es die Tonnen Gestein über den Gruppen vergessen zu lassen. Dieses sorgt mit ihrer balsamischen Ruhe für ein weiteres Innehalten. Zwei Stunden, zwei Kilometer und 20 Kammern später beendet die Dame, an der Spitze der Gruppe, die Führung. Gerade mal ein Prozent des kompletten Mienensystems wurden durchlaufen. Shut your salty mouth! Die ehrfürchtige Trauer über das Verlassen der Gewölbe wird von der Vorfreude übers Tageslicht abgelöst. Raus. Fahren. Reden. Verabreden. Laufen.

Gelerntes: Salary kommt übrigens vom Salzmienenbau, da Salz damals sehr wertvoll war und Arbeiter auch anhand ihres Salzertrags bezahlt wurden. Zudem werden Hunde (die kleinen Transportwagen) so genannt, weil sie, beim Bewegen auf den Schienen, den Geräuschen eines jaulenden Hundes nicht unähnlich sind. Pferde gab es auch, denen es wohl fast besser erging als denen an der Oberfläche. Das kann gut sein. Das kann gut aber auch nicht sein. Einerlei.

Das französische Café, in welchem dieser Text derzeit gefertigt wird, nennt sich Charlotte. Frankreich in Krakau, quelle monde. Die Lippen immer noch salzig, lecke ich darüber und schmecke die Eindrücke des eben Erlebten nochmals kräftig nach. Auch mich wird das Salz wohl längerfristig umarmen.

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