// Kreuzfahrt nach puta-madre-Florida.
Der vollgesudelte Abend dreht seine Runden. Vorbei an Passanten, Junkies, Kindern, deren Träume der Siff der Stadt die Straße hinab spült. Einige davon jagen ihnen nach, wie Schiffchen.
Ich hol mir ne Gauloises Blondes aus der Tasche. Lockeres Schnippen an der Packung. Lässig. Feuerzeug ran. Kräftig dran ziehen. Blonder Rauch füllt kurz danach Rachen und Lungen. Ich steck das Zippo wieder weg, lasse den Nebel langsam zwischen den angespannten Lippen durchkriechen.
Ein Strecken, lange machen.
Hatte gerade Salsa. Salsastunde in ner fensterlosen Linoliumlatrine. Das geht besser, echt viel besser. Also, der Raum. Das Tanzen war ganz solide.
Schrittchen hier, abbiegen da. Drehung, links, zack. Bisschen im Rhythmus bleiben halt.
Es gab da so n Typ im Kurs. Name spielt keine Rolle. Hatte n Gesicht, Zähne, Hals. So einer halt.
Erzählte mir am Ende der Stunde ne kleine Geschichte, die der mal in der Kindheit erlebt hat. 15 war der da, oder 16. Viel Bart hatte der da schon, die Info war ihm wichtig zu erwähnen. Schmiss mich jetzt nicht um, aber ich gab ihm den Schmu.
Der kam da mit seinen 15 oder 16 auch gerade vom Unterricht, auch Salsa, soll man’s glauben.
Er lief rhythmisch die Straße entlang, machte sein Ding, kennt ihr ja sicher. Aufgepeitscht von der Musik, Beine flackern noch, der Staub der Leichtigkeit schwirrt einem noch vor den Augen herum. Man zieht Bilanz vom bisherigen Leben. Da gibt’s mit 15 oder 16 noch nich allzu viel zu sagen. N paar Mal onaniert, Orangensaft getrunken und bestenfalls eine zwischen die Kauleiste bekommen, weil er den neuen Typen in der Klasse unterschätzt hat und ihn saublöd mit Florence Nightingay angeschwatz hat. Direkt drauf, ohne Warnung. Das merkt man sich, kannste davon ausgehen.
Bilanz war also gezogen und er konnte sich wieder auf die Sonne oder Straße oder dem Pusten des Nachmittags widmen. Aber ne, war erst mal nich. So ein Paar sah ihn vom Café aus. Mochte wohl, wie er da komplett geisteskrank alleine vor sich hintanzte. Schnackte ihn kurzerhand an und fragte, ob er Lust auf eine Party hätte. Auf nem Boot. Auf nem Schiff.
In drei Jahren könne er das sicher auch in seine Bilanz mitaufnehmen. Nahm er mit, ganz klar.
Man muss erwähne, dass sich das ganze Heidschipompeitschi irgendwo in Mittelamerika abspielte. Guatemala, Karibik, Ost-West-Atlantik.
Er also mit aufs Boot, Schiff. War aber dann doch nicht nur so ne kleine Augenwischerei, sondern im AIDA-Stil. Groß, mit Flossen und Beibooten. Hohen Schornsteinen, sechseinhalb tausend Leute, die da drauf mitschwimmen.
Kurz überlegte er sich nochmal, ob sich das ganze sinnvoll anfühlt.
Sie versprachen ihm aber Tanz und Drinks. Übrigens, das Päärchen war auch in nem Bilanzzugsalter, in dem es auch noch sehr jungfräulich zugehen sollte. Pinacolada ohne Schirmchen wäre da sicher schon Sodom und Gomorra. Ich trink so n Scheiß ja grundsätzlich nich. Is mir zu wenig Ananassaft drin. Und Kokos vertrag ich nich. Da rumort’s immer unschön, kann ich euch sagen.
Die Feierei steigt also. Er dreht voll auf, packt sein Salsa aus, dreht Runde, Pirouetten und wirft die dämlichen Schirmchen aus seinem Drink. Ne Stunde, zwei. Alle lachen, brausen sich mit Champagner ab und leben irgendwie so, wie man sich das von Kreuzfahrtschiffsbesuchern erwartet. Er is da aber anders, er is im Moment. Kein Schirmchen, keine Sorgen. Denkt er. Irgendwann hat er kurz n momentfreien Moment und schaut zum Hafen rüber. Der is aber halt nich mehr. Futsch, weg. Aufwiederwinken.
Hat das Ding abgelegt, mit ihm. Und ohne seinen Pass. Und ohne überhauptwas.
Bisschen Panik frisst sich in sein Gesicht und am liebsten würde er in die Menge brechen.
Das Pärchen, immer noch beim ersten Drink, weiß auch nicht und naja. Is jetzt doof, weil das is jetzt ne 24 Std. Fahrt ohne Halt. Next Stop: Florida.
Er hält das Erbrochene erst mal noch unten. Kann jetzt sowieso nichts ändern. Trinkt noch n Glas Virgin Laphroaig, also n recht rauchiges Ginger Ale. Würde ich ihm direkt aus der Hand prügeln, dem armen Tropf.
Irgendwie tanzt er noch mit einer Vanessa und ihrem Dieterfreund. Bewegen sich wie Kamele auf MDMA. Er windet sich grazil durch die Herde, verschüttet nichts vom VL, Traumtänzer, der Bursche.
N paar Stunden später liegt er auf einer Poolliege, die er sich ins Restaurant gestellt hat. Die meisten Passagiere sind inzwischen auf ihren Kajüten. Das Pärchen bumst im Rettungsboot. Is zwar ne sehr an den Haaren herangezogene Theorie, aber für so n schnarchiges AIDA-Boot hat das die optimale Würze.
Sprung nach Florida. Irgendwie ruft er seinen Vater an. Dem brennt die Mulle durch, fliegt trotzdem so schnell er kann rüber, holt ihn ab. Abreise. Aber nicht bevor er der Schifferei kurz mal die Meinung zwischen die Ohren kleistert. Junger Mann, ohne Ausweis, an Bord, keine Kontrolle, was für n Lappenverein ist das? Schadensersatz und die ganze Schweinesoße eben.
Angespannt wie n Muskelkater nach nem Marathon. Milchsäure spritzt ihm aus dem Gesicht, quasi.
Er bucht für den Sohnebengel und sich n Flug zurück. Preislich sicher n attraktiver Hingucker, kannste glauben. Einerlei, Weinerei und schon sitzen sie nebeneinander. 17F und 17E. Erst jetzt löst sich die Milchsäure aus Vaters Gesicht, die Lippen zucken und er drückt ein freischaufelndes Lachen aus sich raus. Er holt Luft, schaut seinen Sohn an und fragt ihn “Wie bist du in puta madre Florida gelandet?”. Das alles war vor Ort natürlich in Muttersprache eingefärbt. Klang da wohl besser, sohntauglicher. Oder vielleicht waren es genau die Worte. Interessiert jetzt ja auch nicht mehr.
Tomatensaft wird auf die kleinen Tischladen vor ihnen gestellt und so endet der Wisch zeitig, um rechtzeitig im Bett zu sein.
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