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// Gelber Ballon.

  • Autorenbild: Michael Schuster
    Michael Schuster
  • vor 2 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit


Ecke Humboldthain, Ecke kaputte Straßen und Durchatmen, ohne es zu wollen. 


Das Sonnenlicht schmeckt nach warmem Rost und die 18 Grad brennen penetrant auf die Backsteinrippen der GSG/AEG. Alt und reumütig dringen sie nach oben. Klar, sie wissen, warum die Stadt so läuft, wie sie läuft. 

Beton trifft Backstein trifft Vorkriegsromantik. Kein Mensch weit und breit zu sehen. 

Aber ich kenn die Stadt. ‘s gibt immer jemanden, der zusieht und lauert.


Oben hängt die Sonne wie ne ausgebrannte Glühbirne und flimmert mir ihre urbanen Chansons vor. 

Der Himmel liegt da, wie frisch gewienertes Glas. 


Für flirrenden Asphalt und Sommergarderobe is es aber noch zu sehr April. Die Schattentemperaturen wiegen zu gewaltig. 

Ich trag die Mütze tief im Gesicht. Der Blick klebt am Boden und mein Schal zappelt auf Orientierungflug im Wind. 


Ich geb mir die Blöße und schau hoch. Über mir pendeln Kräne, die laut Aufschrift 15.000 Kilo tragen, heben und bewegen. Für eine meiner Sorgen wäre also immerhin Platz. 

Irgendwo kreischt Metall, irgendwo hustet ne Taube. 

Ich lauf noch n Stück die Schienen entlang und lass mich treiben. 

Wie n ausgeweidetes Tier, das im Nebel von der Welt vergessen wurde, liegt das Areal vor mir. Meine Schritte ziehen keinerlei Spuren hinter sich her. Sie entstehen und sind im selben Moment nie passiert. Bestenfalls hängt sich eines ihrer Echos in dem maroden Backstein fest und gibt ihm noch ne weitere Erzählung dazu. 


An einer der Kran-Säulen hängt n einzelner Luftballon. Gelb, leidenschaftslos. 

Wie n mutierter Kaugummi aus ner anderen Dimension. 

Vielleicht noch n Überbleibsel einer dieser Betriebsfeiern, die einfallslose Wegweiser brauchen. 

Vielleicht hat ihn irgendein perverser Clown da hängen lassen, als Warnung. 

Vielleicht aber is er einfach da, weil selbst die Einsamkeit manchmal Gesellschaft braucht. 


Ich tret’ ner Cola-Dose n Knick ins Blech, zieh die zerdrückte Zigarette aus der Tasche und steck’ sie mir in den Mund.  Beim Kramen nach nem Feuer fällt mir ein, dass ich aufgehört hab zu rauchen. (Th) . 

Das Zippo schreit auf und keine Zeit später ist die Lunge nikotinbetäubt.


Die Dose schießt wieder an mir vorbei. Scheppert und verstummt. Ich zieh die Brauen hoch, nehm noch ne Zug und tanz den 180er.

Sie lehnt an einer der Säulen. Rote Locken und tiefblaue Augen, die selbst die Ewigkeit hinters Licht geführt hätten.


"Schöner Tag.", sagt sie.


“Mh, kommt ganz drauf an"


Sie lächelt. 

Dieses Lächeln, das einem die Möglichkeit auf ein Happy End nimmt. 

Wie ne leere Kneipe um vier Uhr morgens – man weiß nich, ob man noch bleiben oder endlich verschwinden sollte. 

Überdreht, dreckig, aber mit nem letzten Rest Glanz. So einer, der das 7. Glas Whisky bestellt, obwohl der nächste Morgen mich jetzt schon anzählt.


“Der Luftballon, hm? “


Weiß nich genau, worauf sie hinaus will, aber mein Redematerial wäre noch dürftiger. Also spiel ich mit. 


“Passt hier nich ins Bild. Is zu aufgedreht, hoffnungsvoll.”


Wieder dieses Lächeln. 

Die Hölle wartet. 


“Können ihn ja abmachen und ihn freilassen, was sagste?”


Ich wäge das Ganze ab und da ich meine Tristesse auch noch später runterspülen kann, nicke ich und binde die Schnur los. 


“Du oder ich?”


“Mach du. Ich winke ihm zu und bete für ihn.”


Beten. Als ob das alles besser machen würde. Einlassen ins Unvermeidliche, den Abgrund. In der Verdorbenheit liegt doch die eigentliche Wahrheit. 

Ich lass ihn los, salutiere, beneide ihn. 

Sie winkt und sagt:


“Möge Gott dir Wachmann und Heilsbringer sein und dir auf deinem Flug ins Nirvana mit Rat und Tat und Led Zeppelin beistehen. Im Namen des Heavy Metals, a whole lotta love, Amen." 


Ihre rechte Hand formt das Rocker-Teufel-Symbol und sie summt ”Whole Lotta Love”. 


Die Hölle sind die anderen und ich mittendrin. 

Die gelbe Kugel surrt nach oben. Gelb auf Blau. 

Die Szene wirkt wie n Fehler im großen urbanen Code. Wie n letztes Aufbäumen gegen das Vergessen dreht und wendet der Ballon sich noch n paar Mal. Dann verschwindet er über den Dächern und is jetzt das Problem von jemand anderem. 


Sie applaudiert, ich rauche weiter. 


“Was jetzt?”, sie. 


“Ich brauch jetzt nen Kaffee, auf den Wahnsinn. "


“Okay, bin dabei. Ich will ne Capri-Sonne.”


Sie deutet mit ner Kopfbewegung Richtung Ausgang und läuft los. Ich hinterher. 

Die Hölle kann kommen. 


 
 
 

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