// Der Junge, der ich sein durfte – Rhapsodie im Blues.

Sie sehen mich heute an, als wäre ich von düsterer Gestalt.
Obwohl ich doch so flirrig und leichtbefußt durch die Dorfstraßen trippelte. Obwohl mich nichts aufhalten wollte. Es sprühte aus mir wie aus ruhelosen, lecken Regentonnen bei Monsun. Ein überquirrliger Schwall an bedrohlicher Freudfertigkeit und dem Streben nach Unfugsamem. Trichter einer ankommenden Welle. Alles verengte sich, alle Energie, aller Wahnsinn und alle Kindlichkeit. Sie zerflossen schmal zusammen am Kanalende, sprangen regelrecht heraus und trafen, spritzten den Nächststehenden. Besudelten Ihn, Sie, Er, Es, Wir, Uns, Meins, Deins, Ich, Du, Seins, Ihres. Jedwede Regung um mich herum wurde infiziert. Virulente Gedanken, die zwar herauskamen, aber weniger oft als selten verstanden wurden und demnach diesen auch nachgegangen wurde oder ihnen nachgegangen werden konnte. Es marschierte. Marschierte mit Pauken und wirbelnden Chorälen. Ein Allegretto, mit zweieinhalb Terzen unterschied, Abstand. Abstand wollte ich, soweit ich weiß, gar nicht besonders. Zunächst. Bald wurde der Abstand Lebensgrundlage und Epiphanie. Heilkunst, die ich mir selber auftragen konnte. Ist eine Selbstheilung nur ein wirklich wirksames Placebo? Nichts wird wirklich eingenommen. Der reine Gedanken und die Reflexion führen eine Heilung herbei. Sind Psychologen kassenärztlich subventionierte Placebo-Einheiten, die, richtig dosiert, dem Patienten vorspiegeln zu helfen, es im Bestfall auch tun, aber in Wahrheit nichts Wirkliches bewirken? Nichts Handfestes? Oder: Bedarf es für eine Heilung denn Überhaupt einer handfesten Handhabung seines Problems? Genügt das Fieberthermometer – welches ja die Krankheit aufspürt, handfeste Beweise dafür liefert – bereits als Krankheitsakzeptanz? Akzeptanz als Thermometer. Danach ein Löffelchen Kindheitsbewältigung, Relationsmodelle der Jugend, Ergründungen des unvollkommenen Seelenfriedens. Zwei, drei Tropfen Realisation und Verursachungskunde. Kalte Wickel auf den Kopf in Form von Aufschrieben, jene Gedanken verschriftlichen, warum nicht auch verbalisieren, um sich der Tragödie hinzugeben, sich ein bildhaftes Bild machen zu können. Sehen zu können, was substanzlos im Kopf schwirrt. Was durch den bloßen visuellen Blick zu einem greifbareren Modell wird und sein bisheriges Leben als Abstraktion hinter sich lässt. Neu geboren wird, als Wort, als Satz, als Sentenzen. Heute ist es das Thermometer, damals ein Pinsel der Stärke 9. Ich, schelmend in die Kamera schmitzend.
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