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// Die Enten.


Daheim in der Heimat. Ich finde mich auf den leeren Straßen wieder. Sie wirken sehr vertraut und doch entdecke ich sie wieder neu. Früher waren sie voll mit Leben, jetzt wirken sie trist und verloren. Wieso mache ich sie dazu? Vergleiche ich sie zu sehr mit der Straßenkakophonie Berlins? Ich entwickle eine Ambivalenz. Obwohl ich die Ruhe liebe, wirkt ihre Tristesse unwirsch auf mich. Alles um mich herum scheint kleiner und macht mich zu einem Riesen. Die Wippe auf dem Spielplatz schweigt, wippt jedoch noch im Kopf weiter und trällert ihr ulkiges Ständchen. Das Bächlein fließt mit einem anderen Takt, aber dem gleichen Rhythmus. Kleine Entchen schwimmen darauf. Erst eine vorn, dann die Andere. Ich streife durch das noch kaum hochgewachsene Gras der Felder, hinüber zu einem Jägerstand. 25 Jahre nach dem ersten Besteigen eines solchen spüre ich immer noch eine ähnliche Aufregung. Ich setze mich hin und atme meine Vergangenheit bewusst ein. Eine Wohltat. Die Atemzüge tun gut, anders als sonst tun sie gut. Einatmen: Betrunkene Nächte, Herumtollen auf Wiesen, Seifenkisten bauen. Ausatmen: Lärm, Alltag, Grau. Einatmen: Ruhe, Kindheit. Ausatmen: Sorgen, eine vollgestopfte U-Bahn fahren. Einatmen: Heimat. Ausatmen: Daheim.

Alles ist ähnlich, nichts ist gleich. Immer wieder spicken Muster vergangener Tage herein und berauben mich kurz meiner Selbst. Es dauert einen Moment, bis ich die Orientierung wieder erlange und flink zu mir zurück eile. Düfte machen mich zum 9-Jährigen und beflügeln mein Sein, tragen mir die Vergangenheit auf – lauwarm, aber dennoch spüre ich ein Kribbeln. Diskrepanzen in der Annahme Dinge hätten sich geändert. Sind sie im einen Augenblick so nah wie eh und je, entfernen sie sich im nächsten auch schon wieder. Wie Ölfarben, auf einem leicht feuchten Untergrund zerfließen sie ineinander und ergeben, bei allem Kontrast, eine neue, unerwartete Kolorierung. Prägen sich ein und erschaffen einen kleinen Baby-Augenblick, der genährt und beschützt werden will und der irgendwann, mit der zerflossenen Zeit und Farbe, einen komplett anderen Augenblick gegenüber von sich haben wird. Und auch der, wiederum, einen Spross, einen individuell und nie davor dagewesen Augenblick erschafft, der eine Kombination aus allen bisher erlebten sein wird. Er schmiegt sich an die Fasern der Leinwand an, läuft in chaostheoretischen Formen mal hier entlang und mal da hinein. Erkundet alles. Ist noch tapsig und versprüht eine wundervolle Frische und Lebendigkeit, die es an sich zu ziehen gilt.

Immanente Irritationen werden fürs erste ausbalanciert.

Der Wunsch nach einem Zusammensein überwiegt das tatsächliche Treffen. Schön ist es, ja. Aber dennoch fehlt es an dem je ne sais quoi, welches das Antizipieren innehatte. Stören mich die Gespräche im einen Moment, wünsche ich mir deren Nähe im anderen schnell wieder herbei.

In Gedanken male ich nur ein schemenhaftes Bildchen und füge dann „Wie soll man als Sohn/Enkelchen sein“ und „Oma würde sich sehr freuen mich zu sehen“ dazu. In Wahrheit fehlt es am Ende dann aber an der emotionalen Tiefe der Gespräche und der emotionalen Nähe der Personen. Es verbindet uns die Vergangenheit, das Wie es mal war. Die Gegenwart schockiert dann oft mit Oberflächlichkeit. Einengende Gedanken, die das verblasste Tuch wieder aufleuchten lassen wollen, sich aber immer wieder im Versuch verlieren. Jedoch, mit meiner eigenen Mortalität konfrontiert, scheitere ich zunächst noch am Begreifen der gänzlichen Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in jenem Kontext. Der Geist des komplexen Sapiens schafft es aber auch hier, sich in der entstehenden Ambiguität unbekümmert zu suhlen.

Das Zwitschern der Amsel paart sich mit den unerschrockenen Wogen des Winds und gemeinsam wiegen sie mich leise und sanftmütig vor sich hin, zurück in die Gegenwart. Die Enten schnattern redselig weiter und ich laufe wieder bergaufwärts – gleich gibt es Abendessen.

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