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// Rysling.

  • Autorenbild: Michael Schuster
    Michael Schuster
  • 24. Mai
  • 5 Min. Lesezeit


Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das erste Mal durch diese Straße gegangen bin. Vielleicht war es an einem Dienstag, kurz vor dem Regen. Vielleicht aber auch an einem Tag, der in keinem Kalender stand. 

Das Brüllen einer anderen Metropole wimmerte immer noch in den Ohren. Es hatte ja auch lang genug durch den Geist gewischt und seifige Schlieren hinterlassen.

Ich war gerade wieder auf dem Weg zur S-Bahn. Zu einem Treffen, das jenes zuvor einfach überschreibt. Eine Verrohung des Verstandes. Ich freute mich, das stand fest, aber war es die Art Freude, die man empfindet, wenn endlich die Werbeunterbrechung eines Youtube-Videos vorbei ist. Spürbar, aber eben nur im Kontrast zu etwas Nervigem wahrnehmbar. 

3 Minuten warten, während das sonnige Hell mit Samthandschuhen den S-Bahn-Steig poliert. 

Wie immer lauf ich zur Stelle, an der ich am Ende auch aussteigen muss. Effizienz und neurotischer Balsam fürs Gemüt. 

2 Minuten. 

Die Gedanken an die letzte Nacht holen mich punktuell ein. Geburtstagsfeier im K. Die Sonne ist gerade erst in den Saum des Horizonts geflossen. Ich lande im P4, Parkhaus ganz oben. Noch eine weiter hoch und das Spektakel Berlin breitet sich im Blickfeld aus. Ein verliebt-ausgebautes Oberdeck, tags mit Sonne, nachts mit Trunkenheit und Rausch. 

Ich laufe in Richtung Erkennungszeichen. Einhorntasche und Blumen. Das eindeutige Corporate Design eines Geburtstags. Es wird umarmt, es wird gekuschelt und ich setz mich auf den niedrigsten Platz der Biergarnitur. Mit den 1,93 bin ich nun kopf-bündig mit den anderen Einhorn-Gratulanten. 

Direkt wird mir ein Glas mit Riesling hingestellt. Furchtbar freundlich, aber ich hasse Riesling. Ich hasse Prosecco, Champagner, Weißwein, Sekt. 

Nur der Fakt, dass Riesling eine süße Kurzform von Ryan Gosling sein könnte, stimmt mich dabei irgendwie fröhlich und ich nippe zumindest dran. 

Ghastly. 

Ein Nipper zu viel, aber der Abend steht noch in vollem Saft und kann weitergehen. 

Woher kennst du was machst du bist doch und das in Berlin ist das ja fast schon Pflicht? Diese Zuckersprenkeleien tragen einen meist ganz gut durch die ersten 15 Minuten solcher Events. Arbeitsgespräche und Sätze, die ich so exakt schon öfter gesagt und exakt so gehört habe. Da unterscheidet sich nichts mehr, außer die Weinsorte, die variiert jedes Mal. Davon hab ich nichts, aber den Inhalt des Abends will ich auch gar nicht zu sehr verändern. 

Die intoxikierte Stimmung der Geburtstagsgesellschaft schwemmt immer neue Leute an den Tisch. Manche charmant, manche unverständlich alkoholisiert und derweil auch anderweitig verschnupft. 

Hintergründig lauschen wir dem erdumpften Wummern der Musikanlage. Währenddessen changiert die Stadt von laut zu leise. Der Tumult des Tages verlagert sich immer mehr in die Innenräume. Bars und Clubs erwecken neue Lebensgeister. Vielleicht wurden sie letztes Wochenende aber auch einfach vergessen und vertrödeln sich seither ihre Zeit im L&F. 

Wir segeln jedenfalls der 0h00-Geburtstags-Marke entgegen und tanzen dabei immer noch leichtfüßig in unseren Gesprächen umher. Thema: “Arbeit”. 

Ich halte mich zu sehr an den buddhistischen Leitspruch: Doppelt so viel zuhören wie selber erzählen. Bei uns steht es aktuell eher 0:2 in der Halbzeit. Ich höre zu und nippe jedes Mal hoffnungsvoll an meinem Rysling. Kurz fruchtig, dann Erbrochenes. A harmony made in hell. 

23h55. Plötzlich sitzen wir an einem anderen Tisch und eine neue Flasche Spritziges wird gebracht. 

Neben mir verlassen zerkaute Silben und angefeuchtete Satzhälften den Mund meines Sitznachbarn. Irgendwas mit Brummeldummel und marokkanischem Minzbier. Das hat seinen Charme, wird mir aber auf Dauer zu kleinteilig und puzzelig. Ich schieb sein Glas immer wieder vom Tischrand zur Mitte, da seine Erklärungen mehr gestisch als verbal untermauert werden. Da erfindet gerade jemand ein neues Alphabet. Dreimal Hände auf den Tisch knallen steht entweder für “ü”oder “Ich kenn den Türsteher".

23h59.

Die letzten 15 Sekunden werden zu pathetisch und silvester-lastig heruntergezählt. 3 Menschen, die offenbar 3 verschiedene Uhrzeiten verfolgen. Einer is bei 14, der andere fängt schon an zu singen. 

0h00.

Und dann folgt das Unvermeidbare: Das Grölen des “Happy Birthday"-Songs. 

Ich gröle natürlich mit und versuche irgendwie zu harmonisieren. Laut verstreuen sich unsere falsch intonierten Gesänge über die Holzmöbel und Dekolichter der urbanen Dachterrasse. 

Die Geburtstagte wird umarmt. Wärmste Worte fließen ihr geflüstert ins Ohr, wünschen Erhebendes, Glückseliges und Gottes Gnade oder solche Schnörkel. 

Ich drücke sie an mich. Wir verharren kurz und laben uns am Umstand, dass man sich kennt und dass die milde Nacht uns Teil von ihr sein lässt. 

Flüsternder Wohlgesang auch noch kurz von mir, schon schmilzt unsere Umarmung dahin und sie schmiegt sich an jemand anderen. Impermanenz at its finest. 

Ich versuche die Wortpuzzelei neben mir nun gekonnter zu ignorieren und mache die erwachsenen Version von: “Finger in die Ohren und laut Lalalala schreien”. 

Ich stehe auf und geh aufs Klo. 

Zwar nüchtern, aber dennoch sorgt die gedrückte Belichtung hier oben für ein dumpf-mattes Rauschgefühl. Ich tapse über Holz, schau aufs Handy — nichts, aber inzwischen is es 0h05 — und steuere die Pissoirs an. 

0h10.

Als ich wieder am Ort der Gratulationen ankomme, sind da noch leere Gläser und die Sekt-Pfütze auf dem Tisch, die sich beim Entkommen so schön gebildet hatte. 

Drinnen wird getanzt und ich spüre die Aufbruchstimmung in mir leise hochbrodeln. 

Kaum war jenes gespürt, kam auch schon die 1-Jahr-Gealterte heraus und zog mich wortlos mit auf die Tanzfläche. Ergeben lass ich mich ziehen. Die Musik war dann doch so unterwältigend, dass es eine Etage höher zum zweiten Floor ging. 

Da stromern nun treibendere und aufbauschendere Klänge um uns herum und verleiten zum Klamotten-in-ne-Ecke-werfen. 

0h45.

Es gibt wohl wenig Reizvolleres als sich auf einer zu lauten Tanzflächen anzuschreien, um herauszufinden, ob dies, das oder Zwischenmenschliches auf einer ähnlichen Frequenz senden. Tue ich dann trotzdem, weil, was bleibt einem übrig. Man will ja auch nicht die unhöfliche Nudel im gut durchmischten Pastatopf sein. Also wird geschrien und emblematisch dem Beat das Tanzen beigebracht. Das Gespräch war dann ja auch tatsächlich ein süßes Schmankerl.

Sie war im Begriff, alle Männer des Abends zu brechen und mir brach die Stimme, nach 25 min. des Brüllens, ganz von alleine. 

1h30.

BVG-App geöffnet und die Heimfahrtszeiten direkt mal abgerufen. 1h42 oder 2h02.

Zweiteres, weil ersteres mit Drängeln und Rennen verbunden wäre und meine Stimme wollte ja schließlich geschont werden.

Die hin- und herschwappenden dancing queens and kings wirkten immer noch teils fröhlich, teils wie festgemauerte Spielfiguren. Ich suchte das Geburtstagsmenschlein, verabschiede mich von ihr, von der Männerbrecherin, von Entouragen und meinem hehren Tanzplätzchen. Ein letztes Mal wurde geschrien und ein zu betrunkenes Gesicht sprühte mir das “Ciaoooo” ganz unverwandt übers Gesicht. Well. 

Tschüssi, Schüss und tanz noch n bisschen für mich mit. 

Die Lautstärke ging verlustig, je weiter ich zum Ausgang kam. 

In den Aufzug, mit einer Bande an Bachelorparty-Mannen. Französisches Timbre im Zungenschlag. Aus sämiger Aufzug-Euphorie heraus tauschen wir Nummern, sehen uns natürlich nie wieder, aber 4 Tage wechseln bei WhatsApp noch ein paar süße Worte die Seiten. Freitagabend also in Neukölln: done. 

Es war süß, es war fruchtig, es war tanzbarer als gedacht und stimmungsvoller als erhofft. 

Die U7 führt zur S1 führt zum Humboldthain. Exit stage left. 

Der pelzige Rysling hatte sich inzwischen im Rachen verloren und tanzte sich in meinem inneren Lala-Land so langsam aus. 

Die Welt stand in vollem Saft und der Abend glitt sorglos ins Bett, trug noch etwas Niacinamid auf und einen Traum nach dem anderen, behutsam an mein Dream-Buffet. Aber das sei ein anderes Geschichtlein.


 
 
 

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