// Kosmisches Dialogen am Görli — a Cry-Session-Sinnfindungs-Notiz.
- Michael Schuster
- 22. Mai
- 3 Min. Lesezeit

Ich wühle mich durch den Abend. U1 fällt aus, U3 im 20-Minuten-Takt. Da zuckt mir mein Hals doch direkt dreifach so schnell. Oben dringt der Trabant durch die Wolken. Eine Ohrfeige für die Sonne. Jetzt hat er seinen Auftritt — meisterlich.
Ich drück mich durch den Ausgang am Görlitzer Bahnhof. Alles um mich herum Gebaren, die mir sagen: “Lauf!”.
Ich laufe.
Next stop: die Emmaus-Kirche, wo schon das SHA-LA Studio auf mich wartet. 4 Stockwerke müssen dafür überwunden werden. Wendeltreppe, 3 Meter breit. Da krieg ich schon beim dritten Schritt Agoraphobie.
Macht nichts, es is ja gleich geschafft.
Oben, also dort wo ich gerade noch von unten hingeschaut hab, erwartet mich Aufbruchstimmung des Vorkurses. Ebenso die Erwartungshaltung von den (männlich gelesenen) Boys, die sich, samt mir, versammeln, um bei der 4. Cry Session mitzumachen.
Das SHA-LA-Studio KRZBG (von den Kiezmündern schmucklos "The Church” genannt) bettet die eingeladenen (männlich gelesenen) Boys der HOT BOYS CRY-Bewegung für 90 Minuten in ihrem Gong-flankierten Raum. Das Angebot: Hypnose, Sound and Cry Healing.
“This must be the place!” scheint eine Lichtröhre alt-testamentarisch auf uns hernieder. Sie illuminiert die Räucherstäbchenverwehungen und schwebt wie Chekhov's Gun über uns, den 3. Akt bereits vorwegnehmend.
Die 15, 20, 30 (männlich gelesenen) Boys summen erst wellig brummend und sinken dann butterweich in ihre Matten. Ziel des Abends: Männern beizubringen, dass Weinen erlaubt ist, immer. Überall.
Klänge von engelsgleicher Faszinosität schwirren die ganze Zeit um uns herum, nehmen jedwede Anspannung und Unsicherheit ruhig an die Hand. Die ersten Glucksmomente.
18h00.
Alex, die erfinderische Kraft und Main Hot Boy, zieht das Wort sanft an sich. Ee umschreibt seine Intention, seine Vision und führt mit wenigen wundervollen Worten den Abend und unsere beiden Hypnose & Sound Healing Guides von Tantric Energetics ein.
18h15.
Die Heldenreise kann beginnen. Zunächst darf das Köpfchen nach links oder rechts gedreht werden. Ich tausche mich mit meinem Matten-Nachbar über kürzlich Erlebtes aus. Positive Piekser, die uns alle in eine fröhlich-vibrierende Stimmung hineinschubsen.
Ein kleines Glöckchen bedeutet jeweils das Ende des kleinen Austauschs.
18h20.
Krisana erklärt uns Feen der Nacht, welcher Blaupause wir die nächsten 30 Minuten folgen werden.
Die Ruhe wird zum Rausch und rezeptpflichtigen Nahrungsergänzungsmittel für meine Seele. Auf einem Kissen stehend, begegne ich mir selbst — dem Erwachsenen, dem Kind und allen dazwischen.
Einatmend soll ich nun schrittweise zum anderen Rand der Matte laufen, rückwärtsgewandt. Dazwischen pflücke ich balsamische Momente meines Lebens heraus und vertiefe sie, bis ich bei meinem 11-jährigen Michl ankomme. In seinem verwaschenen Tom-&-Jerry-Pullover wird er stetig sichtbarer. Spitzbübisch, mit dem Schalk im Nacken, grinst er mir zu. Ich grinse zurück.Dieser kleine Bubb soll nun dem Großen aufzeigen, welche Wünsche und Bedürfnisse er seit langem hat und denen er sich doch bitte jetzt, bitte schnell annehmen möge. Der Große ist Beistand, Sehnsuchtsbeauftragter und Kalamitätenbewahrer. Weiß der Bubb mal nicht weiter, wechsle ich die Seiten, literally.
So geht es dann, 25 Minuten lang. Jeder Moment fördert weitere Tränen-Kaskaden hervor. Am Ende gleicht der Toilettenpapier-Fetzen in meiner Hand nur mehr einer fragwürdigen Papiersuppe.
Jedes Kullern im Außen reinigt im Innern.
Ein Sich-Bahn-brechen durch verschlackte Leitungen, die sich in den letzten Wochen und Monaten so virtuos verstopft haben. Bis am Ende kaum mehr Freude und Energie durchkamen.
Krisana lässt uns Boys irgendwann, sachte aus unseren Selbstgesprächen herauskullern. Nicht aber bevor ich meinen lila-bepulloverten Michl fest und lange umarmt habe. Einmal im Geiste, einmal als Kissen getarnt. Alt und Jung fließen durch mich durch und ich bemühe mich, die Schnittstelle zu sein, um dadurch erneut die salzigen Pforten zu öffnen.
Das aufgelöste Papierchen neben mir erträgt die ausgeweinten Seelenverstopfungen mit Würde.
Durch all das Tränenvergießen erkenne ich schließlich meine eigene Transformation. Wellig-summende Weisheit durchrieselte mich. Im selben Moment halte ich dann einen Schlüssel in der Hand – und ein bis dahin wohlgehüteter Raum in mir lässt sich nun ganz mühelos öffnen.
Die Hypnose haucht ihre letzten Züge und gleitet dann leise in die Klangheilung über.
Liegen, zudecken. Feinste Vibrationen ergießen sich über den Raum und seine Teilnehmenden.
Auf dem fliegenden Teppich der Melodien hinfortgetragen, liege ich ein-, aus-, ein-, ausatmend dort. Harre dem, was das Wunder der Selbstheilung noch in meinem Seelengarten wachsen lassen wird.
Beinahe geräuschlos, schwebe ich gegen 19h15 wieder in die Church zurück.
Diese Reise ist damit beendet. Die Tändeleien der Stellschräubchen in mir ist aber gerade dabei zu beginnen. Matte einrollen, Decke verstauen, Ciao Alex, du Wundervoller.
Mit Liebe, Glückseligkeit und Frieden bepackt, beginne ich den nun mühelosen Abstieg, Wendeltreppchen after Wendeltreppchen.
Ein feuchter Niesel umfängt mich und alles beginnt jäh zu leuchten, selbst die Schatten. Der Abend wirkt heller, die Menschen zugänglicher. Und ich hopple mit einem angefeuchteten Kirmesgrinsen durch die Welt, die mit einem Mal eine ganz andere ist.
It has been the place. It really is.
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