// Die Gemäldegalerie der Gedächtnislücken.
- Michael Schuster
- 1. Juni
- 3 Min. Lesezeit

.. dann aber doch Montag und der flammende Fiebertraum des Wochenendes putzt mir immer noch kräftig durch alle Nachwehen im Kopf.
Das All You Can Eat Bier-Brunch-Buffet der verlorenen Gedanken, eine Gemäldegalerie der Gedächtnislücken.
Um auf Nachtausschnitte zu stoßen, zieht sich eine Harke scheppernd durch meinen Sonnenuntergarten im Geist. Vulnerable Dynamiken im Kopf brechen sich ironisch mit den Restsubstanzen im Blut. Alles hat sein für, alles hat seine Grenzen. Ganz die Rekonvaleszenz im Augenwinkel, werd ich deshalb später zu einer heilsamen Stunde zum Hale Now Mitte (HNM) radeln. Tone & Stretch Class um 18h30.
Zunächst aber mal greift 08h00 nun tief in das Uhrenstellwerk hinein. Grinst und serviert mir meine gut begründeten Kopfschmerzen auf einem viel zu laut klappernden Tablett. Bitte Ruhe, ich kontemplieren meine Entscheidungen.
10h00 lässt mich jäh hochfahren. Das Thor’sche Hämmern im Kopf ist gewichen. Hunger pirscht sich an, klopft verwirrt an die Tür und wundert sich über den ungedeckten Tisch. Bitte decken, ich muss die letzte Nacht standesgemäß degustieren.
Zwischen 12h00 und 17h00 verwehen die Stunden in mir, wie aufgescheuchtes Herbstlaub in einem Fischerdörfchen. Jede Minute verfängt es sich in den Böen, nimmt freudig Abschied von seinem Plätzchen und wird an ein anderes getragen.
Die innere Unausgeglichenheit rührt durch mein Gemüt. Gefühle vermischen sich und erzeugen Polyphonien, die bald lärmende Kakophonien, bald zart-weiche Euphonie werden. Ich sehne dem Schlag der 18. Stunde entgegen. Wem die Stunde schlägt, nur eben ohne Militärputsch, Guerillakämpfer und Franco.
Dong. Dong. Dong. Dong. Dong¹⁴
Der wolkenlose Abendhimmel greift förmlich nach mir, so tief und geruhsam legt er sich auf die Straßen und Gassen. Ich tauche in alles gleichsam ein und werde durch das Vibrieren des Feierabends geschleust. Eine schnurgerade Strecke von Wohnung bis Ashram. Gartenstraße führt in die Linienstraße führt in die Oase. Die Fahrradstraße erlebe ich wie das Förderband am Flughafen. Ich stelle mich auf sie und sie bringt mich ans Ziel; sie weiß dann schon wohin. Das Tempo ist voreingestellt und ich bin es auch.
Ankunft.
Die schmale, verwinkelte HNM-Türe im Keller ist für meinen Montagskörper eine Herausforderung. Sie verschluckt mich zögerlich und sofort fühle ich mich angekommen.
QR-Code scannen — dank der umzaubernd-pittoresken Katakomben-Umgebung brauche ich WLAN. Das Passwort “InhaleExhale” ist literally Programm.
Danach ab in die Schleuse, den Gang durch, ganz nach hinten, dann in die Umkleide. Unisex. Zeugs aus, Zeugs an, Toilette und im Schlendergang durch den Schummer zum Schneidersitz auf die Matte. 18h30 ist’s.
Schnell ist klar, dass ich der einzige männlich gelesene Mensch dort bin.
Toning und Stretching wird wohl von den meisten Mannen für nicht-erstrebenswert befunden. Kein Wunder, sterben die weg wie die Fliegen. Stretch that Hüftbeuger, du Unausgeglichener.
Nunja.
Die Stunde beginnt und Ezgi, l’entraîneur de la nuit, stellt sich und deren Playlist vor. Ein Räucherstiftchen wird sanft von einer Flamme erglommen.
Wir schließen alle unsere Augen, konzentrieren uns gänzlich auf das Hinein- und Hinausströmen der Luft. Eine meditierende Minute lang, inhale exhale (Told you).
Anschließend geht es in das beruhigend-sanfte Erleben, welches solch eine Stunde also birgt. Wir arbeiten mit leichten Gewichten (1-3 kg). Beugen, flexen, spannen an, lassen los, drehen ein, drehen aus, strecken, klammern und rotieren. Alles mit den dumpfen Melodeien der Spotify(Ezgi-curated)-Playlist im Dahinter. Ich komme mir näher, ich komme dem Raum näher. Keine andere Urban Sports Class wäre heute, für mein etwas träges, etwas ausgewaschenes Moi, stimmiger gewesen. The right amount of stretch, the right pinch of Tone und die optimale Ruhe für meine Gemäldegalerie der Gedächtnislücken.
Und die Synapsen versuchen dabei, aus den verborgenen Minen der Nacht-Narrerei die fehlenden Bilder zusammentragen und zurechtschürfen. So wird aus dem somnambulen Lückenteppich eine wundervolle Tapisserie des Wochenendes. Im Ineinandergreifen von Bewegung, Klang und Introspektion entsteht eine befreiende und überraschende Bildwirkerei meiner selbst.
Ezgi entzückt mit immer neuen Verbeugungen vor meiner inneren Sonnenanbeterin. Ich sehe, ich folge, ich wirke.
Im Zerfluss meiner Anspannungen und fieseligen Gedanken betrachte ich die letzten 58 Stunden, gebe ihnen Namen und versuche alle in diesem einen Atemzug zu bündeln.
So viel inhalen kann ich gar nicht, wie es zu exhalen gäbe.
Alles ist im Fluss, zerfließt, erschafft sich neu — mein mentales Rom erbaut sich in nur einer Sekunde.
Ich bin beinahe wiederhergestellt und liege im mich-kittenden Shavasana.
Und dann: Oase, Linienstraße, Gartenstraße, heim.
Alles glänzt, so schön neu.. nach 9zehn Uhr.
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