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// Das kleine Fräulein im Döner-Center.


Ein späterer Samstagabend, der um die 22. Stunde seiner Selbst wuselte. Im nahen Verköstigungssaal des Döner-Centers brannte noch Licht, noch mindestens vier Stunden lang. Wie immer schob sich die automatische Glasfront verzögert auf, forcierte mich zum kurzen

Stopp. Pause vom Leben - fast unmerklich knapp bemessen. Linsensuppe, wie immer. Brot? Klar. Auch Jalapeños, bitte. Tamam.

Und da saß das kleine Frauchen. Kurz vorher hatte ihr der Döner-Wirt noch die Gabel für den Kebab angeboten. Danke, so isst es sich gleich viel einfacher. Jetzt. Um 21h52 sitzt sie da im neonbelichteten Nachtglimmer. Vor ihr der aufgefaltete Fladen, daneben ein, kalt erscheinendes, Berliner Pils. Vorsichtig stochert sie den Salat samt Fleisch auf das Futter-Werkzeug. Vorsichtig knabbert sie es auf. Das schüttere, rot leuchtende Haar sitzt makellos. Wie es das eben tut, wenn man bereits über 80 Jahre Erfahrung im Knabbern, Stochern und Vorsichtigsein aufsaugen durfte. Ihr funktionaler Anorak: grün. Ihre Beine berühren gerade so den grau-gefliesten Döner-Center-Fußboden. Beschwingt schwingt sie hier mal waghalsiger, dort mal behutsamer. Alles in allem aber eine sehr durchdachte Bein-Schwung-Balance, brava.

Was jedoch in mir passiert, erachte ich ebenfalls für schriftlich festhaltenswert. Nur aus jenem goldigen Grund entzücke ich dich überhaupt mit diesem Text. Das adrette Fräulein sitzt hier. An einem Samstagabend um kurz vor 22h00. Alleine. In mir rangeln Freude und Traurigkeit um die emotionale Vorherrschaft. Was bewegte sie dazu hier zu sitzen?

Die Freude jauchzt: In diesem Alter in einem Döner-Center. Fantastisch. Meine Großmutter würde nie..

Ihr schmeckt es, dass kann sie kaum verbergen. Döner und Bier in diesem Alter. Es ist einfach ein zuckerbeäugtes Bild. Kein Stress, nirgendwo sein müssen. Ein Genuss.

Und hier beginnt nun aber die Tristesse. Warum muss sie nirgends sein? Warum sitzt sie in diesem Alter alleine in einem Döner-Center samt Kebab und Bier? Hat ihr Blick, ihr Gebaren doch etwas Flehendes, Melancholisches? Vielleicht, weil keiner sie dort erwartet. Sie will nicht zu diesem Nirgends, weil es zu sehr schmerzt und deshalb lieber Irgendwo statt Nirgendwo. Irgendwo zu sein birgt zumindest Ablenkung und ein kurzes Verweilen in der Kurzweiligkeit.

Wie wichtig ist diese Hinterfragung denn wirklich? Die Frau sitzt dort, genießt oder eben nicht.

Schönen Abend dir, Bruder.

Und während man mir eine Tüte mit Schnabulenzien reicht, gehe ich, verzögert, nach Draußen. Ich drehe mich noch ein diverses dutzend Mal um, bevor ich laut einatmend um die Ecke biege und die Dame wieder ungestört sein lasse. Ich will sie mir unbedingt und ausschließlich glücklich vorstellen. Kann ich aber nicht, muss ich aber auch nicht.

Ab jetzt ist sie wieder eine Person mit unendlichen Facetten. Für mich hatte sie in diesem Moment nur zwei. Trauer und Freude.

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