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// Entschwindung.


Starrer Blick. Stumm, wie ein verklungenes Lied, eine leere Notwendigkeit.

Kurz zuvor ruhte der Kopf noch müde auf der Schulbank. Müde, so schien es zumindest, bewegte er die Stirn auf dem Holz umher. Die Augen geschlossen, Kapuze über dem lila gefärbten Haar. Ab und an öffneten sich die Lider. Ächzend, wie morsche Türen. Blickten zum Boden, bannten ihn, entschwanden in ihm. Das rege Treiben um ihn herum zerfloss im unendlichen Tumult. Seine Mitschüler erörterten ein wenig und schrieben. Tintenstriche wurden gekillt. Neue entstanden. Sowieso tolerierte seine Gleichgültigkeit, jene der kapuzierten Erscheinung, keine Ablenkung. Keine Regung auf Fragen. Nichts zu holen, nein.

Nur dumpfes Atmen vom Bengel. Nur dumpfes Atmen von der letzten Reihe.

Der Kopf ist nun auf die Uhr gerichtet. Der Körper leicht gedreht, Augen geradeaus. Nichts will, nichts darf sich dieser kalten Blicksucht in den Weg stellen. Sie würde alles ersticken und zermürben.

Die Uhr ist ihr Opfer. Er bannt sie, entschwindet in ihr und lässt sie nicht mehr los. Es scheint gar so, als wäre er nicht mehr im Raum. Seine Präsenz hinfort, zu einem Sonnenschaum verbrannt.

Ich wage es. Muss und will. Schaue ihm direkt in die Augen. Blicke jedoch einfach hindurch, ohne Halt, ohne Widerstand. Kein Zucker, keine Verwunderung. Keinen Ton sagt er, nichts lässt er verlauten.

Er wendet sich gleichgültig seinen Schulsachen zu, packt sie ein, schließt den Rucksack. Zurück. Zurück wandern die Augen zur Uhr.

Fünf Minuten.

Zehn Minuten.

11h47. Er steht auf und geht aus der Klasse. Ein Mitschüler schaut ihm nach, nickt und arbeitet ruhig weiter.

Ich setze mich etwas später auf seinen, jetzt leeren, Platz. Mein Blick geht zur Uhr. Auch ich banne sie für einen Moment, entschwinde kurz in ihr.

Zwei Minuten.

Drei Minuten.

12h10. Ich stehe auf und gehe.

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